Der Besuch der Priesterin (7.4.2017)
Was tun mit einem Betrüger, wenn man ihn erwischt? Ihn den Behörden zu übergeben ist noch die harmlose Variante. Da wären Aufhängen, Lynchen, Vierteilen, Abstechen, Erwürgen, Foltern, Peinigen, Einsperren, in Ketten legen, an den Pranger stellen, über die Planke gehen lassen, an die Haie verfüttern, Kreuzigen, Ausbluten lassen... Es gibt so viele Möglichkeiten, einem Verbrecher seine gerechte Strafe zukommen zu lassen. Und was machen wir? Nichts! Naja, es geht immerhin um Wegerich. Seit er sich uns anschloss, hat er sich noch nichts zu Schulden lassen kommen. Aber was er sich während unserer Abwesenheit geleistet hat, das schlägt dem Fass den Boden aus!
Wegerich's Wein-Wunderland hat nun einen gut gefüllten Weinkeller, drei sehr gute Köche, wobei einer voll und ganz gereicht hätte, einen wirklich geschmackvoll eingerichteten Schankraum sowie eine hervorragend ausgestattete Küche. Dafür hat unser Barde allerdings einen unverschämt hohen Kredit aufgenommen. Und tatsächlich unsere Unterschriften gefälscht, dieser Halunke! Mit der Bezahlung für den Auftrag auf den Kristalleisinseln konnten wir gerade die Zinsen bezahlen. Dafür wird er noch büßen!
Eine weitere Überraschung ist die Ankündigung des bereits einmal verschobenen Besuchs der Priesterin. Das interessiert mich nun mal überhaupt nicht, sie kann mir gestohlen bleiben! Wie sich herausstellt bin ich nicht die Einzige, die so denkt. Von Seiten der Blauen gibt es keinerlei Reaktion auf ihr Kommen, es wird keinen Empfang oder irgendeine offizielle Geste des Turms geben. Die einzige Gruppe, die versucht, der Sache etwas Glanz zu verleihen, ist der Goldene Drachenorden. Funkelstein muss ihrer Dienstpflicht nachkommen und verbringt die meiste Zeit mit Vorbereitungen in der Kaserne. Immerhin verlangt man nicht von ihr, dort auch noch zu übernachten und sie kann uns abends die neuesten Neuigkeiten erzählen.
Kaum wieder zu Hause, zieht sich Rashuk in sein Labor zurück und ward kaum noch gesehen. Wir müssen ihn sogar an Essen, Trinken und Schlafen erinnern, so sehr ist er noch von den Ereignissen auf den Kristalleisinseln und ihren Nachwirkungen in den Bann gezogen. Inigo Sharp hatte einen schlechten Einfluss auf unseren Magier, der Wissenschaftler in ihm gewinnt gerade die Oberhand. Er erzählt uns zwar, teilweise sehr detailliert, was er den ganzen Tag macht, doch davon ich verstehe kein Wort.
Weil sich kaum ein Gast in unser Etablissement verirrt, müssen wir Werbung machen. Daher lege ich mal wieder meine Piratenkluft an und gehe zum Hafen. Es gelingt mir auch, auf den einlaufenden Schiffen für Aufmerksamkeit zu sorgen, aber das scheint die falsche Klientel zu sein. Die Seeleute bevorzugen eher die rustikalen Tavernen, wie es sie hier an jeder Ecke gibt, und die Pilger besitzen einfach nicht das nötige Kleingeld.
P. macht was ganz anderes. Mit einem Eimer Farbe und einem Pinsel zieht sie durch die Stadt. Schon bald prangt an beinahe jeder Hauswand der Name unseres Lokals. Was aber nicht abgesprochen war, ist der Zusatz „Erstes Getränk umsonst.“ Darüber kann und will ich mich schon gar nicht mehr aufregen.
Abends tauchen tatsächlich jede Menge neue Gäste auf, allerdings nicht diejenigen, die einen guten Tropfen Wein zu schätzen wissen. Wegerich kommt so richtig in Fahrt. Mit der Gitarre in der Hand gibt er sein Bestes. Seine Lieder sorgen für eine ausgelassene Stimmung und die Gäste sind guter Laune. Und spendabel. Ich kenne ja mittlerweile ein paar seiner Tricks und merke, dass er es auch heimlich mit Magie versucht. Ich weiß nicht, ob sein Zauber misslungen ist oder ob es seine Absicht war, doch mit einer gewissen Genugtuung stelle ich fest, dass die Gäste manch ein Lied umdichten und schlüpfrige, zweideutige Geschichten über die Priesterin erzählen. Besonders eine Gruppe Bugbears schafft es immer wieder, neue Episoden zu erfinden. Zufrieden lehne ich mich zurück und höre entspannt zu.
Es ist der Tag vor dem Eintreffen der Priesterin, als Grizzla zu mir kommt. Sie habe gehört, dass die Bugbears für morgen etwas planen. Es fällt mir schwer, die anderen davon zu unterrichten, denn nur zu gern würde ich dabei zusehen, wie jemand der Priesterin einen Denkzettel verpasst. Aber Wegerich hat recht, als er sagt, dass es nicht gut für den Ruf unseres Hauses ist, wenn herauskommt, dass wir einer Gruppe von Aufständischen Unterschlupf gewähren. Aber was sollen wir in so einem Fall tun? Sie vor die Tür setzen? Die Blaue würde gar nichts unternehmen.
Tatsächlich sitzen die Bugbears abends wieder an einem unserer Tische und stecken die Köpfe zusammen. Ich spitze die Ohren und versuche mitzuhören. „Wir müssen ihr die Meinung sagen“ ist noch eine der harmloseren Formulierungen, die ich zu hören bekomme, aber es gefällt mir. Ich setze mich zu ihnen, höre aufmerksam zu und nicke an der einen oder anderen Stelle ihres Gesprächs. Wegerich dagegen ist einigermaßen entsetzt. Auch er gesellt sich zu der Runde und versucht mit Worten und Magie das Schlimmste zu verhindern. Ich glaube, er ist nicht sehr erfolgreich.
Es ist schon spät, da taucht plötzlich Rashuk auf. Er ist ganz der Wissenschaftler und erzählt mal wieder etwas von arkanen Strömungen. Wirklich hellhörig werden wir, als er auf die beiden Altäre in unserem Keller zu sprechen kommt. Seine Geräte zeigen an, dass auch dort unten Störungen aufgetreten sind. Das klingt gar nicht gut.
Gemeinsam steigen wir die Treppe hinab. Die Siegel der Blauen scheinen intakt und unberührt. Ein fischiger Geruch liegt in der Luft. Auf einem Altar entdeckt Wegerich Reste von Wachs. Eine Spur nasser Flecken führt zum Ausgang. Die Tür wurde von außen aufgebrochen! Die Fährte führt zu den Stufen an der Klippe, dort lässt sie sich aber nicht mehr weiter verfolgen. Wir verbarrikadieren die Tür wieder notdürftig. Funkelstein erzählt von einem Traum, vom Leichenkönig und jeder Menge Untoter und wir befürchten schon, dass der Altar dafür benutzt werden könnte, einen Ausgang aus der Unterwelt zu errichten. Rashuk lässt ein paar Funken sprühen, die sich an den arkanen Strömungen des Opfertisches ausrichten. Er erkennt sofort, dass jemand einen Ruf in das Reich der Toten gesendet hat, eine Art Einladung. Wir durchsuchen daraufhin jeden Quadratmeter des Hauses und werden in der Küche fündig. Dort steht eine kleine verschlossene Holzkiste in der Ecke, die niemand zuvor gesehen hat. Wir öffnen sie auf der Veranda, doch sie ist leer. Lediglich die Reste eines undefinierbaren, unbekannten Schleims finden sich noch in den Ecken.
Funkelstein warnt ihre Vorgesetzten, eine Nachricht geht an Kirrizz und P. schickt einen Boten, um Casila Artalin zu unterrichten. Wegerich ist von der Entdeckung extrem aufgewühlt. Weil er, wie er sagt, keinen Schlaf mehr finden wird, geht er für den Rest der Nacht mit P. auf Patrouille.
Der Tag beginnt mit einem strahlenden Sonnenaufgang. Die weißen Segel der Galeasse der Priesterin strahlen vor einem wolkenlosen Himmel. Eine Flotte von Schiffen jeglicher Größe und Bauart folgen ihr. Es sind so viele, dass nur die wenigsten am Kai festmachen können. Im Hafen hat sich jede Menge Halbvolk versammelt. Sie stehen in den vorderen Reihen und haben die Pilger und Gläubigen, hauptsächlich Menschen und Elfen, nach hinten verdrängt. Der Goldene Drachenorden ist in Reih und Glied angetreten. Ich habe mir eine Terrasse an der Treppe, die nach oben in die Stadt führt, ausgesucht, von der ich das Spektakel beobachten kann. Weit genug entfernt vom Gedränge, aber doch nahe genug, um im Notfall einzugreifen. Die anderen stehen mitten in der jubelnden Menge. Da entdecke ich Wegerich, mit großem Federhut, schicken Kleidern und blank geputzten Schnallenschuhen direkt am Kai. Was hat er vor?
Fanfaren und Trompeten erschallen. Doch ihr Klang ist durchsetzt mit Magie. In den Ohren der Pilger sind die Töne wohlklingend und rein, doch das Halbvolk ist entsetzt. Goblins, Bugbears und andere sind wie betäubt. Die Gesichter verzerrt zu Grimassen, versuchen sie sich vor den grässlichen Lauten zu schützen. Die Pilger nutzen die Situation und drängen nun ihrerseits in die vordersten Reihen.
Eine Planke wird ausgelegt und ein kleines Mädchen erscheint, streut Blüten. Wegerich tritt vor und begrüßt sie im Namen der Einwohner von Drakkenhall. Heute ist er also ein Herold. Ein Gong ertönt und die Prozession setzt sich in Bewegung. Alle sind in strahlend weiße Gewänder gehüllt. In ihrer Mitte schreitet eine große Frau, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen, die alle Blicke auf sich lenkt. Allein ihre Erscheinung, ihre Anwesenheit, ihre Präsenz reicht aus, um jeden in ihren Bann zu ziehen. Wie in Trance jubeln ihr die Anhänger zu. Nicht aber die Bugbears. Sie stimmen die Schmählieder an, die sie noch vor wenigen Tagen in unserem Haus gemeinsam mit Wegerich sangen. Ich muss schmunzeln. Doch sie sind nur wenige und werden bald von den Pilgern und ihren Jubelrufen übertönt. Ohne weitere Vorkommnisse bewegt sich die Prozession in Richtung Stadt.
Auf einem Platz entlang der Route bahnt sich dann aber ein ernster Zwischenfall an. Funkelstein, die mit der Vorhut unterwegs ist, beobachtet, wie Harpyien Wurfgeschosse an Goblins übergeben. Es ist nicht schwer zu erraten, was in den großen Blättern eingerollt ist: Harpyien-Kot! Funkelstein kennt viele der Goblins und mag sie eigentlich, doch ihr Gesichtsausdruck zeigt, dass sie ganz und gar nicht erfreut ist. Mit Überreden hat sie keinen Erfolg. Sie versucht alles, um die Lage nicht eskalieren zu lassen, lenkt die Aufmerksamkeit der Goblins auf sich und weg von der Prozession, schlägt einem den Harpyien-Kot aus der Hand. Daraufhin fliegen allerlei Gegenstände in ihre Richtung. Ein Stein trifft sie am Kopf, aber Helm und Rüstung schützen sie vor Verletzungen. Auch Wegerich erkennt den Ernst der Lage. Er stimmt ein Lied an, die Priesterin lobpreisend, und versucht ebenfalls, die Goblins abzulenken. Mit dem Erfolg, dass zwei von ihnen die Flucht ergreifen.
An einer anderen Stelle drängt eine Gruppe Bugbears auf den Platz. P. stellt sich ihnen in den Weg. Doch mit den Worten „Verzieh Dich, Du Schrotthaufen“ gehen sie einfach weiter. P. verpasst dem ersten einen Kinnhaken. Ein anderer, besonders großer Bugbear packt und schüttelt sie, doch sie kann sich seinem Griff entziehen und holt aus. Mit großer Wucht landet ihre Faust in seiner Magengrube und er taumelt. Daraufhin wird sie von einer Keule getroffen, das metallische Knirschen ist nicht zu überhören.
Ich hatte mir vorgenommen nicht einzugreifen. Doch als ich sehe, dass meine Kameraden, meine Familie, meine Freunde angegriffen werden, lege ich alle Zurückhaltung ab. Ich springe von Dach zu Dach um P. zu helfen, die mittlerweile in arge Bedrängnis geraten ist. Auch Funkelstein und die Goblins stehen sich drohend gegenüber. Die Harpyien erheben sich in die Lüfte und lassen ihren Kot auf den Platz regnen. Wegerich kramt in seinem Beutel und zieht einen Schirm heraus. Ich habe keine Ahnung, wie er den da hinein bekommen hat. Er reicht ihn einem der Mönche, der damit wiederum die Priesterin schützt. P. dagegen wird voll getroffen. Die stinkenden Exkremente verätzen nicht nur ihre Rüstung, sondern sind auch durch einen Spalt in sie eingedrungen. Das tut ihrer Mechanik mit Sicherheit nicht gut. Rashuk nimmt sich einen Stein und schleudert ihn in die Höhe. Die getroffene Harpyie schreit kurz auf, zeigt sich aber ansonsten unbeeindruckt.
P. gibt alles und schwingt ihre Axt, um die Bugbears in Schach zu halten, doch sie muss auch selbst immer wieder harte Treffer einstecken. Bald stehe ich auf einem Dach direkt über ihr, stürze mich in die Tiefe und ramme einem Gegner meinen Dolch von oben tief in die Schulter. Der stellt keine Bedrohung mehr dar. Auch Rashuk muss mit dem ätzenden Kot Bekanntschaft machen und sucht Schutz unter einem Dach. Wegerich singt und tanzt tapfer weiter, ganz zum Missfallen eines Bugbears. Der holt nur kurz aus und der Barde fliegt in hohem Bogen über den Platz. Funkelstein ist es gelungen, mit ihrer Autorität und ihrem Schwert alle übrigen Goblins zu vertreiben. P. dagegen ist schwer angeschlagen. Doch mir gelingt es, auch den letzten ihrer Widersacher auszuschalten. Funkelstein treibt die Paladine an, ihre Herrin zu beschützen, die den Platz beinahe passiert hat. Nur einer von ihnen steht noch einem Gegner gegenüber. P. tritt zwischen die beiden. Noch ehe einer von ihnen ausholen und zuschlagen kann, wird der Bugbear von einem Kameraden gepackt und sie ziehen sich zurück. Ich habe schon Pfeil und Bogen in der Hand, da suchen auch die Harpyien laut kreischend das Weite.
Unbeirrt setzt die Prozession ihren Weg durch die Straßen von Drakkenhall fort.